"Leben erleben, mit dir, den anderen, und mir"

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Veröffentlicht: 12 Jahren her

Unsichtbare Krawatte

Für die heute anstehende Konfirmation der Nichte meiner Liebsten haben wir uns – wie ich finde – angemessen gekleidet: Gute Jeans, weißes Hemd, Krawatte, Sakko. Mein Sohn schaute mich so gekleidet prüfend an und bemerkte, dass ich „speziell“ ausschaue. „Speziell“ auszuschauen ist in etwa so, als ob das Essen „interessant“ schmeckt, und so klassifiziert unverzehrt auf dem Teller bleibt. Auf meine Rückfrage, was er denn unter „speziell“ verstehe, wich er zunächst aus und antwortete dann korrigierend, dass „förmlich“ meine Aufmachung wohl treffender beschreiben würde. Damit konnte ich leben und wir machten uns auf den Weg zur Kirche.

Dort angekommen pferchten wir uns zu den anderen etwa 14.000 Gästen in die kleine gotische  Kirche. Wir erwischten die letzten freien Plätze hoch oben auf der Empore. Natürlich wurden alle Türen und Fenster des Gotteshauses sorgfältig und hermetisch verschlossen, so dass sich die Temperatur im Innenraum exponentiell entwickelte und schon nach wenigen Minuten meinen persönlichen Siedepunkt überschritt.

Während wir den Wortbeiträgen und der musikalischen Untermalung durch die Bläsergruppe des Ortes lauschten, schwitzte ich in mein Hemd peu-à-peu vom Kragen herab in mein graues Sakko hinein nass. Plötzlich fielen mir mein Sohn und seine Bemerkungen über meine Kleidung wieder ein. Offenbar sollte er mit seinen Einwänden doch recht behalten: Meine Kleidung schien den Anforderungen des Gottesdienstes nicht gewachsen zu sein.

Da man in Situationen wie diesen der Kleidungsformalität Vorrang vor Bequemlichkeit einräumen muss, beschloss ich andere Lösungsszenarien für kommende Konfirmationen durch zu spielen. Alle daraus entstandenen Ansätze schlug dieser hier letztlich in Bann: Für die nächste umfängliche Kirchenfeier würde ich Tuba lernen, denn dann dürfte ich unten im Kühlen und ganz vorne sitzen, auf einem Platz, den man mir schon Wochen vor der eigentlichen Veranstaltung reservieren würden.

Ich bin gespannt was mein Sohn dazu sagen würde. Vielleicht findet er ja, dass mir eine Tuba besser steht, als eine Krawatte? Die jedenfalls würde hinter dem Instrument nahezu unsichtbar.

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