Fülle meine analogen Lebenslücken
Manchmal denke ich, dass der moderne Mensch an sich, heute zu viel Zeit im Internet verbringt. Nicht dass der Aufenthalt dort unergiebig oder gar sittenwidrig sei; nein, das Problem besteht wohl eher darin, dass man im Internet verbrachte Zeit nirgends anders verbringen kann: Beim Sport, bei einem guten Buch oder in einer Hundeschule. Sicher, manches von analoger Betätigung lässt sich heute auch virtuell im Netz erledigen, aber bis „Virtual Nordic Walking“ oder die 3D-Simulation eines alt-belgischen Klöppelkurses die kritische Menge an Usern im Netz auf sich vereinen können, wird wohl noch etwas Zeit ins Land gehen. Hoffentlich.
Ich für meinen Teil jedenfalls habe mir vorgenommen, das Netz dafür zu nutzen, wofür es erdacht und gemacht wurde: Ich hole mir Information, schaue, was es Neues gibt in der Welt oder lasse mich dann und wann schlicht davon unterhalten. Und das Ganze am besten noch so, dass mir das Netz keine Zeit stiehlt, sondern die analogen Lücken meines Lebens füllt.
Neulich bin ich in den Baumarkt gefahren, um einen so genannten „Systemtrenner BA nach EN 12729“ zu erstehen. Den muss man nämlich haben, wenn man einen Hochdruckreiniger sein Eigen nennt und selbigen am Trinkwassernetz anschließen und betreiben will. Dass ich Artikel dieser Art auch über einen der einschlägigen Online-Shops hätte bestellen können, habe ich gar nicht erst in Erwägung gezogen; das Netz kann mir – bei all‘ seinen unbestrittenen Vorteilen – dieses geliebte Baumarktfeeling – eine Mischung aus Holz- und Düngergeruch und der drüsengeschwängerten Atmosphäre kindlicher Aufgeregtheit von etwas-machenden-Männern – einfach nicht bieten.
Dort angekommen fand ich den gesuchten Artikel natürlich nicht und beschloss nach Hilfe zu fragen. Doch außer meinesgleichen fand sich niemand im Markt, der hätte Auskunft darüber geben können, ob ein Systemtrenner BA nach EN 12729 wohl irgendwo zu finden sei. Also beschloss ich, am „Info-Point Sanitär“ Stellung – oder Quartier, je nachdem wie lange die Wiederkunft eines Verkäufers wohl dauern möge – zu beziehen und ihn in meine Beschaffung zu integrieren.
Über der Wartezeit fiel mir das Internet als solches wieder ein und ich begann nach meinem Systemtrenner zu fahnden. Natürlich fand ich ihn und manigfaltige Angebote zum Kauf obendrein, und das innerhalb weniger Sekunden. Da die Preise plausibel und überdies erschwinglich erschienen, wickelte ich den Kauf der begehrten Armatur kurzerhand ab und war bedient, noch bevor ein Mitarbeiter im Markt meine Anwesenheit überhaupt bemerkt hatte. Während ich den Info-Point verließ verspürte ich Stolz darüber, dass ich die Wartezeit so exzellent genutzt hatte und mein Besuch im Baumarkt von strahlendem Erfolg gekrönt wurde.
„Schöne neue Welt“, dachte ich, wie schon so oft zuvor und kürte mich, mein Handy und das ihm anhängende Internet, zu ‚Mitarbeitern des Tages‘. „Was mag mir das Netz und seine ungeahnten Möglichkeiten wohl noch bringen?“ fragte ich mich. Und wisst Ihr was? Ich weiß es! In einer kühnen Zukunftsvision sehe ich mich, wie ich mir daheim eine wunderbare Pizza „Quattro Stagioni“ aus dem Internet herunterlade und ausdrucke. Und dann – ja dann – fülle ich damit eine analoge Lücke in meinem Bauch.
Danke, Internet.