Ertappt
Lodernde Leidenschaft, heiße Herausforderung oder gar knallharte Konzentration sehe ich selten, wenn ich im Fitnessstudio meine Mitturner beobachte. Sollte das Training ihnen wirklich Freude bereiten – man sieht es nicht. Sollten die Übungen den eisernen Willen in ihnen nochmals stählen, man bekommt es nicht mit. Sollten sie tatsächlich ob des Lohns der Plackerei so etwas wie Stolz empfinden, sie wissen es gekonnt zu verbergen. Darum kann ich mir eine kleine aufmunternde Bemerkung dann und wann nicht verkneifen.
Heute traf ich beim Training eine Bekannte und fand sie halb zusammengefaltet in einer dieser martialischen Beinpressen. Und während sie ihre Übung ausführte gestalteten ihre gestressten Beine augenscheinlich ihren nicht minder martialischen Blick. Ich grüßte freundlich und schlug ihr vor – trotz allem – zu lächeln. Was ich erntete war ein über alle Maßen freundlich-gequälter Versuch eines entspannten Gesichtsausdrucks. Immerhin…
Während ich mich anschließend selbst von Maschine zu Maschine trainierte – mir machte das Training heute wirklich Spaß – habe ich meine überaus klugen Ratschläge offenbar selbst nicht befolgt und die Kontrolle über meine Mimik in weiten Teilen verloren. Denn irgendwann zwischen Rückentrainer und Beinstrecker hauchte mir die mittlerweile selig-entspannte Stimme meiner Bekannten plötzlich von hinten ins schweißnasse Ohr: „Lächeln…“
Dermaßen ertappt und wahrlich nicht nur durch die Anstrengung der Übung errötet, war ich zunächst nur enttäuscht von mir, bevor mir eine plausible Erklärung für dieses peinliche Missgeschick einfiel: Nicht jeder kann seinen Gefühlen den richtigen Ausdruck verleihen.
Ach ja: Lodernde Leidenschaft? Ja, vielleicht. Aber eher mit einer Betonung auf „Leiden“…