Nach wie vor begeistert und erkennbar bewegt berichteten gestern Abend meine Kollegen aus Brandenburg und Thüringen von ihren mittlerweile über 20 Jahren zurück liegenden Erlebnissen: Ihrer Einstellung bei einem West-Unternehmen.
Es war 1990 als ein Techniker aus Thüringen mit dem Zug in Köln am Hauptbahnhof eintraf. Seine Zugfahrkarte hatte er noch mit Ostmark bezahlt. Am Bahnhof traf er sich mit dem Fahrer seines künftigen Arbeitgebers. Der Fahrer bot sich sogleich an, den Koffer des neuen Kollegen zu tragen, was dieser freundlich überrascht und dankend ablehnte. Auf der Fahrt zu seinem neuen Arbeitgeber im Firmen-Mercedes fragte er sich dann, wohin dies alles ihn führen würde? Er war überwältigt von seinen Eindrücken.
Der Kollege aus Brandenburg kündigte bei seinem damaligen Arbeitgeber einen Tag bevor er sich auf den gleichen Weg nach „Westdeutschland“ machte. Auf Kündigungsfristen konnte und wollte in dieser Zeit niemand Rücksicht nehmen. Während der mehrwöchigen Einarbeitung in der Zentrale der Firma kam bei ihm natürlich der Wunsch auf zwischendurch nach Hause zu seiner Familie zurück zu kehren. Das Unternehmen stellte ihm einen Wagen zur Verfügung und er machte sich auf den Weg, jedoch nicht ohne vorher noch zu Aldi zu fahren und den Wagen mit reichhaltigen Einkäufen zu füllen. Als er dann mitten in der Nacht daheim ankam waren Freude und Aufregung groß, die Einkäufe wurden bestaunt und man fühlte sich großartig. An Schlaf dachte niemand mehr.
Als meine Kollegen diese, ihre ganz persönlichen „Wende-Geschichten“ erzählten war es am Tisch bei uns „Wessis“ ganz still. Zu packend waren ihre Schilderungen, zu unglaublich – vor allem für die jüngeren Kollegen – ihre Erlebnisse.
Das Ganze liegt mehr als 20 Jahre zurück. Die Erinnerungen bei den Kollegen sind – augenscheinlich – noch sehr frisch, obwohl die Wende und die Wiedervereinigung in unserem aktuellen Leben im Grunde genommen keine Rolle mehr spielen. Längst sind die Szenen des Mauerfalls in Vergessenheit geraten, die Einheit gelebte Realität.
Bei meinem Rundgang durch den sächsischen Ort Brandis finde ich Zeugnisse dafür, dass Ost und West längst „eins“ sind: Straßen, Geschäfte, Industrie – alles ist längst auf „Westniveau“, meist sogar besser. Aber ich finde auch viele Hinweise auf die DDR-Vergangenheit, die sich in dem kleinen Ort bei Leipzig wie anderswo hartnäckig halten; sei es historisch oder politisch bedingt. In den Nebenstraßen schaut es dann häufig doch noch so aus wie zu DDR-Zeiten.
Kein Mangel, wie ich finde, jedoch überraschte mich diese nach wie vor ausgeprägte, meist unfreiwillige „Ostalgie“. Für die Kollegen vor Ort ist es eine Welt, die sich immer noch wandelt, wenngleich langsamer als damals.
Und überdies sind wir dann doch zusammen gewachsen, wir und der nahe Osten…