"Leben erleben, mit dir, den anderen, und mir"

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Veröffentlicht: 17 Jahren her

Reisetagebuch USA 2007

Freitag, 02.11.

Es ist 6:45 Uhr, als Frank mich in Strombach abholt, und dazu noch dunkel und kalt. Er bringt mich nach Köln zum Bahnhof. Die Fahrt verläuft reibungslos und ich bin zeitig an meinem Bahnsteig.

Während ich warte fällt mir auf, dass nahezu alle ankommenden Züge Verspätungen haben. Sich ständig wiederholende Ansagen erläutern, dass die Verspätungen auf einen ‚Verdacht eines Unfalls mit Personenschaden‘ zurück zu führen sind. Die Verspätungen werden schnell von 20 auf 40 Minuten korrigiert.

Ich kann meinen Kaffee, den ich mir gerade gekauft habe nicht genießen: Sollte ich diesen Zug nicht bekommen, würde mein ganzer Reiseplan für heute kippen. Überraschenderweise kommt mein Zug pünktlich und verlässt den Bahnhof nach Frankfurt genauso – als einziger – in time.

Die Fahrt mit dem ICE nach Frankfurt Flughafen ist immer wieder überraschend: Man sitzt kaum, da ist man schon da. Besonders hervorzuheben ist eine Beobachtung, die ich mit großer Regelmäßigkeit auf dieser Strecke mache: Auf den großen Displays über den Türen wird zwischendurch immer wieder die Reisegeschwindigkeit angezeigt, was ich immer noch mit großem Interesse verfolge. Und obwohl ich peinlich genau darauf achte, keine Anzeigephase zu verpassen, gelingt es mir nur selten eine Geschwindigkeit über 300 km/h zu sehen. Die Ursache hierfür ist meines Erachtens offensichtlich: Jeweils kurz bevor die 300 überschritten werden, schaltet das Display auf ein Werbebanner um. Warum weiß niemand…

In Frankfurt angekommen gebe ich mein Gepäck auf. Die Abfertigungshalle ist brechend voll und irgendwie bin ich froh, dass ich noch ‚reichlich‘ Zeit habe: Es ist kurz nach 9 als ich den Schalter von United Airlines erreiche. Überraschenderweise ist hier überhaupt nichts los und ich meinen Riesenkoffer und meine Tasche umso schneller.

Um mein Gepäck erleichtert (hoffentlich sehe ich es wieder) mache ich mich auf den Weg raus ‚an die frische Luft‘, um zwischen Duzenden von ausgesperrten Rauchern mein Frühstück einzunehmen. Eine besondere Erfahrung…

So gestärkt und mit entspanntem Blick auf die Uhr entschließe ich mich zu einem kurzen Bummel durch die festlich geschmückten Einkaufs-Arcaden der Flughafens (‚Ja ist denn schon Weihnachten?‘), ohne schließlich jedoch etwas zu erstehen.

Langsam mache ich mich auf den Weg zu meinem Abfluggate. An der Sicherheitskontrolle angelangt sehe ich mich mit einer etwa 100 m langen Warteschlange konfrontiert. Und dann war es wieder da, das Gefühl, das ich schon morgens am Bahnhof in Köln gehabt habe Und die Entspannung ist schlagartig weg.

Und richtig: Es wird eng, denn am Check-in ist die Hölle los: Immerhin wollen hier fast 400 Menschen für den Flug aufgenommen werden.

Unser Flugzeug, eine 747-400 steht bereits am Gate. Lustig ist, dass ich vom Warteraum nur die Unterseite des Rumpfes sehen kann, so hochbeinig steht sie da. Nach dem Boarding drinnen angekommen staune ich wieder mal über die Geräumigkeit dieses Flugzeugs: Die 3/4/3 Bestuhlung in der Economy sieht da allerdings schon wieder etwas anders aus. Ich falle immer wieder drauf rein: Kommst Du in eine 747 VORNE rein, kommst Du immer in der Businessclass rein.

Ich finde meinen Platz fast ganz hinten im Flugzeug, direkt am Fenster habe ich einen ausgezeichneten Blick auf eine große Tragfläche und eines der 4 Garagen großen Triebwerke, das mich in den nächsten 9 Stunden schamlos anbrüllen wird. Dabei sitze ich so gern vor den Triebwerken, aber da sitzen die die Businessclass-Leute, wie bereits eingangs erwähnt.

Mein Sitznachbar heiß Steffen, ist geschätzte 2,14 groß und tut mir unendlich Leid, wie er da so eingepfercht in seinem viel zu kleinen Sitz hockt. Tatsächlich ist Steffen 1,85 und ein 38-jähriger Dr.-Wissenschafter-Neurologe und auf dem Weg zu einem Kongress nach San Diego. Mitfühlend stelle ich fest, dass er nach unserer Ankunft in Washington noch einmal so lange in einem Flugzeug sitzen wird. Vermutlich wird ihn die Feuerwehr von San Diego Airport aus der Maschine ’schneiden‘ müssen, weil er sich nach Stunden der Fixierung in seinem Playmobilsitz nicht mehr bewegen kann.

Wir landen bei sonnigem Wetter, jedoch mit fast 45 Minuten Verspätung in Washington Dulles, brauchen eine halbe Ewigkeit um aus dem Flugzeug zu kommen und noch mal eine ganze Ewigkeit um die Immigration-Kontrolle zu passieren. Sowohl Dr. Steffen als auch mich beschleicht das ungute Gefühl, dass wir unsere Anschlussflüge nicht mehr erreichen werden. An den Schaltern der Einwanderungsbehörde verliere ich Steffen trotz seiner hünenhaften Größe aus den Augen.

Ich beschließe zu laufen, nein zu rennen, statt zu gehen: Schließlich habe ich noch 10 Minuten bis zum Abflug und halte das für eine reelle Chance.

Allerdings muss ich zunächst meinen Giganten-Koffer und meine Reisetasche aus einer gefühlten Masse aus 4.731 Koffern bergen. Der Anblick dieses Kofferfeldes erinnert mich unweigerlich an den Militärfriedhof Arlington mit seinen tausenden gleichförmigen Grabsteinen. Dies gepaart mit meiner gehetzten Orientierungslosigkeit lässt mir mein Vorhaben, den Flug noch zu erreichen lächerlich erscheinen.

Überraschend schnell finde ich Koffer und Tasche, bin schon wieder im Schweinsgalopp unterwegs und höre mich unablässig ‚X-cuse me‘ rufen, um mir den Fluchtweg frei zu brüllen.

Diese Hektik bleibt auch der freundlichen Dame am Schalter zum Re-Check in des Gepäcks nicht verborgen, denn sie eilt mir entgegen und ruft ‚Move on, move on, I’ll take care of it‘. Also werfe ich mein Gepäck ab wie befohlen und lande nach einem kurzen Sprint in der nächsten Sicherheitskontrolle. Warum weiß kein Mensch: Ich habe den Sicherheitsbereich doch gar nicht verlassen.

Jacke aus, Uhr aus, Hosentaschen leeren, Gürtel raus, Rucksack aufs Band, Schuhe aus und ab durch den Metall-Detektor. Eigentlich müsste ich nur noch Zähneputzen und ich wäre bettfertig!

Alles wieder anziehen/anbauen/verstauen und mein Triathlon geht weiter. Leider verliere ich in aussichtsreicher Position liegend beim aus meiner Sicht völlig überflüssiger Terminalwechsel entscheidende Sekunden: Als ich das Gate erreiche ist der Flug seit 4 Minuten geschlossen. Ich habe es nicht geschafft.

Positiv sind zwei Umstände festzuhalten: Ich habe mein Training für heute gehabt, und zwar unter erschwerten Bedingungen. Und zweitens: Der Flug dürfte nur mit ordentlicher Verspätung weg gekommen sein, denn sie müssen ja mein Gepäck wieder aus dem Flugzeug holen. Und das dauert eine Weile, das Gepäck zu finden. Während dessen hätte ich bequem noch einsteigen und mitfliegen können…

United Airlines ist großzügig und lädt mich ob der durch sie verschuldeten Verspätung ins piekfeine Hyatt Dulle Airport zum Abendessen, übernachten und frühstücken ein. Dort angekommen frage ich mich, wieso ich eigentlich so gerannt bin…

Ich beziehe meine kleine Suite, streiche mir die Haare zurecht und mache mich aus den Weg zum Abendessen. Umziehen kann ich mich nicht, da das Gepäck am Flughafen bleibt, oder halt über Nacht einen Rundflug durch ausgewählte Ziele der USA macht. Ich frage mich erneut, ob ich es wieder sehe?

Ich setze mich in die großzügig bemessene Lobbybar, bestelle ein großes Bier, einen Angus Burger ‚well done‘ und gerate unweigerlich in einen Konflikt: Ich kann mich nicht entscheiden, ob ich auf den über der Bar angeordneten Großbildschirmen Sport, Nachrichten, Werbung oder sonst was schauen soll. So ist es in Amerika: Alles im Überfluss!

In diesem Trubel lerne ich Patrick kennen. Ein deutscher mit britischem Pass, irischem Vater, phillipinischer Mutter, angestellt in der Firma seines Vaters einem Hersteller von Hebezeugen, und nebenbei selbstständig mit einem Internet-Wettbüro für weltweite Pferdewetten. Ein witziger Endzwanziger mit ansteckendem Lachen. Einen ganzen Teil unseres ‚Leidenswegs‘ machen wir gemeinsam. Auch das ist Amerika. Kann mich mal jemand zwicken?

Um 21 Uhr gehe ich auf mein Zimmer, schaue noch ein wenig Basketball. Ich stelle fest, dass mir amerikanisches Fernsehen früher interessanter vorkam. Egal, heute schlafe ich entspannt dabei ein. Es wirkt nach wie vor.

Samstag, 03.11.

Wie langsam doch eine Nacht rum gehen kann… Ich ahne bereits, als ich ins Bett gehe, dass das mit dem Jetlag in der zweiten Nachthälfte lästig werden kann. In der latenten Furcht verschlafen zu können und auch den nächsten Flieger wieder zu verpassen, schlafe ich nicht einmal nur leicht sondern habe das Gefühl, dass ich eben nur zwischendurch mal das eine oder andere Nickerchen mache und eigentlich die ganze Nacht wach liege und mich abwechselnd darum sorge zu verschlafen oder eben gar nicht schlafen zu können. Zuletzt bin ich so müde, dass ich doch noch für eine Stunde wirklich schlafe.

Bis 4 Uhr, denn da meldet sich das Jetlag mit einem aufgekratzten ‚Guten Morgen, ich bin auch noch da!‘. Egal. Ich kann es nicht ändern und so bin ich um 5:30 der erste und einzige beim Frühstück, oder besser ‚Frühstück‘ in der Lobbybar, wo ich doch eben noch mein letztes Bier getrunken habe. Amerikanischer Anachronismus, hier noch straffrei!

Ich genieße den großen Kaffee aus einem Starbucks-Pappbecher (cool) und kaue dazu ein Ham & Cheese Croissant und anschließend ein ebensolches mit Schoko. Dazu lese ich USA Today, die mir die Kellnerin dankenswerterweise holt. Erst auf Seite 12 merke ich, dass die Zeitung von gestern ist. Ist mir aber egal, denn ich weiß ja auch nicht was gestern los war. Erschwerend kommt allerdings hinzu, dass ich nun zu den gestern beschriebenen TV-Programmen über der Bar noch eine Zeitung habe, die ebenso Aufmerksamkeit erfordert. ‚Multimedia‘ nennt man das dann wohl.

Um 6:45 steige ich in den Flughafen-Shuttle, nachdem ich vergeblich versucht habe Patrick per Telefon darauf aufmerksam zu machen, dass es langsam Zeit wird für ihn, wenn er – wie vereinbart – diesen Bus gemeinsam mit mir nehmen will. Patrick geht aber nicht ans Telefon, weil er die Nummer nicht kennt und sich nicht erklären kann, wer ihn um diese Zeit aus Deutschland anrufen könnte. Diese Art Kombination scheint ihm nicht zu liegen…

Im Flughafen angekommen läuft heute alles glatt. Die Warteschlangen sind erkläglich und es ergibt sich sogar ein kleiner Wortwitz mit einem Eingeborenen: Als ich mich im Sicherheitscheck wieder mal ‚bettfertig‘ mache, spricht mich der nach mir folgende Herr an und sagt ‚I don’t like to undress like this!‘ Worauf ich entgegne ‚If I could brush my teeth I could go to bed as well now, being prepared like this‘, worauf er wiederum lacht und noch grinst, als wir bereits hinter der Kontrolle unsere Schuhe sortieren. Vielleicht erzählt er das zu Hause, was ich für einen kleinen Erfolg halten würde.

Die Wartezeit ist heute beeindruckend komfortabel, so dass ich mich spontan entscheide, ein Reisetagebuch zu schreiben. Der erste Tag war an Erlebnissen reich, aber ich lasse mir den Mut nicht nehmen, dass ich regelmäßig berichten kann.

Der Flug ist unproblematisch: Wir, Patrick (der schlussendlich dann auch noch überraschend auftaucht) und ich genießen die kleine Maschine (eine Canadair 700, mein Lieblingsflugzeug), obwohl wir – warum auch immer – in einem längst nicht ausgebuchten Flugzeug ganz hinten sitzen, und jeder von uns je ein Triebwerk an seinem äußeren Ohr befestigt hat. übrigens: Ich mag die Canadair-Maschinen so gern, weil sie so leise sind…

Ich überfliege – das glaube ich zumindest beim Blick aus dem Fenster – den Appalachian Trail ungefähr ein halbes Duzend mal. Jedenfalls kommt es mir so vor, wenn ich die unbesiedelten Weiten, die sanften Hügel der Staaten, deren Namen ich nicht kenne, sehe: So muss es Bill Bryson während seiner Wanderung auf dem gleichnamigen Weg gegangen sein, als er schrieb, dass es dort bisweilen beeindruckend viele Bäume hat. Das kann ich uneingeschränkt bestätigen.

In Nashville nach etwa 90 Minuten angekommen läuft alles nach Plan. Sogar die Koffer sind da, was Patrick und mich gleichermaßen überrascht. Merkwürdig ist, dass sie schon im ‚Lost and Found‘ Büro stehen, während die Koffer der anderen Passagiere gerade erst auf das Gepäckband einbiegen. Vermutlich sind unsere Koffer dann doch noch mit der Abendmaschine geflogen. Und vermutlich war das auch der Grund, dass wir nicht mit dieser Maschine geflogen sind…

Der Transfer zum Hotel ist geprägt durch dramatische Vorwarnungen des Busfahrers ‚Arthur‘, der die Mitfahrenden lustvoll vor der Größe es Hotels und vor der immer akuten Gefahr des ‚getting lost‘ warnt. Er hat ja recht und zugleich auch nicht: Nüchtern betrachtet besteht das Hotel aus vier ineinander verschachtelten Gebäudekomplexen, die auf bis zu 6 Ebenen kunstvoll mit ‚Boulevards‘, ‚Walks‘, ‚Skywalks‘ und natürlich gefühlten hunderten von Gängen, Aufzügen und Treppen (derer eher wenige) verwoben sind. Ach was: Arthur hat recht: Das versteht kein Mensch. Es gibt allein vier große Glaskuppeln, eine handvoll Wasserfälle, noch mal so viele Flüsse, Einkaufsstrassen, Kneipengassen und ungefähr dreimal so viele Restaurants. Drum herum mehr als 2500 Zimmer, Parkplätze bis zum Horizont und ein Einkaufszentrum mit einem für amerikanische Verhältnisse ungewöhnlich langen Verbindungs-Fußweg. Aber dazu gleich mehr.

Wie immer laufe ich erstmal los, suche die Veranstaltungshalle. Finde sie, melde mich an, erhalte eine beeindruckende Menge Papier und einen Katalog, in dem zu meiner Überraschung sogar mein Name abgedruckt ist. Lustig! Amerika halt!

Der Stand steht verwaist da. Außer ein paar an uns adressierte Paletten nur amerikanische Relaxtheit. Ich nehme mich deutlich zurück, öffne keine der Paletten und gehe statt dessen spazieren. Vorbei an dem Neubau der ‚Gran Ole Opry Hall‘ – ich weiß noch immer nicht genau was das ist, bis hin zu einem dieser gigantischen Einkaufszentren der ‚Opry Mill‘. Hier gibt es alles mögliche, sogar ein Aquarium mit Haien und einen Stingray-Streichelzoo. So. Und einen Kulturschock für mich gratis dazu.

Ich gehe ja gerne auch mal shoppen. Gerne auch mal in Zentren, wie z.B. In Oberhausen. Aber bitte versucht Euch jetzt mal spontan Oberhausen mal 10 – ich übertreibe nicht! – vorzustellen, und natürlich statt der Holländer jede Menge Amerikaner! Ernsthaft: Ich konnte dort nicht länger als 30 Minuten bleiben (20 davon bei meinem Lieblingsbuchhändler Barnes & Noble), dann musste ich wieder raus. Ging nicht anders. Die Amerikaner sind schon recht speziell in dieser Hinsicht…

Zurück in meinem Hotel-Kosmos gehe ich zum dritten Mal zum Stand. Es hat sich was verändert: Die Nachbarn bauen auch schon auf. Nur wir noch nicht. Morgen mache ich das. Egal wie, und wenn ich den Stand alleine aufbaue…

Auf dem Rückweg finde ich das Fitnessstudio, das mich beeindruckt. Ich entschließe mich noch irgendwas zu machen. Zunächst mache ich mich auf den Weg zurück ins Zimmer, dann schleunigst auf den Weg ins Studio. 45 Minuten kann ich laufen, obwohl sich dieses Mistband nach 30 Minuten schon in Cool Down schaltet. Offenbar genügt es den Amerikanern einen 30 Minuten Workout zu machen. Belustigt stelle ich fest, dass ich während meinem 45 minütigen Laufen an beiden Seiten einiger Mitläufer erleben darf, die entweder nur ein paar Minuten auf dem Band gehen, oder nach einen kurzen aber ebenso beeindruckenden Sprint auf dem Band in einen lächerlichen Spaziergang verfallen, bevor sie mit hochrotem Kopf wieder im Hoteldjungle verschwinden.

Ich genieße die Bewegung und setze mich anschließend noch 15 Minuten an den Pool in die Sonne. Es ist angenehm warm, hat noch ca. 20 Grad. Im November. Ich will nicht nach Chicago.

Nach dem Duschen versuche ich erneut meine Kollegen anzurufen, spreche jedoch nur mit Mailboxen. Auch so eine amerikanische Erfindung…

Ich beschließe alleine essen zu gehen und gehe aus meinem Bereich, der ‚Cascades‘ heißt, in den Bereich ‚Magnolia‘, in dem sich einige Kneipen und Restaurants befinden. Schließlich lande ich bei ‚Finnleys‘, einer Kneipe, die man sich amerikanischer nicht vorstellen kann: Eine seeeehr lange Bar, viele kleine Tische, einige gigantische Monitore, auf denen College Football läuft und halt eine ohrenbetäubende Mischung aus plärrenden Fernsehern und krakelenden Gästen, die jede Aktion im Spiel lautstark kommentieren.

Ich beschließe zu bleiben und ergattere einen der letzten Tische mit Blick auf einen der Fernseher. Schließlich will ich wissen, was los ist. Ich bestelle ein Bier und später ein Chicken Wrap, das überraschenderweise mit Pommes serviert wird. Dabei hatte ich gar nicht so viel Hunger… Amerika halt: Darf es etwas mehr sein?

Als um 20:30 eine Band beginnt Country Music zu spielen, wird es noch lauter, obwohl der Ton des TVs zugunsten der Verständlichkeit der Musik abgestellt wurde. Ich habe genug gehört und mache mich auf den Heimweg, laufe dabei durch dabei durch die bereits üppig weihnachtlich geschmückten Landschaften, verweile noch einen Moment an einem Springbrunnen-Wasserbalett, bevor mich die Ruhe meines Zimmers langsam auf die Nacht vorbereitet.

In Gedanken schon beim nächsten Tag stelle ich fest, dass ich ohne mein dazutun unfreiwilliger Teilnehmer eines Programms geworden bin, das man hier in Amerika sicherlich ‚advanced jetlag savings programm‘ genannt hätte, wenn so etwas überhaupt existieren sollte. Aber es beruht einfach nur auf meiner Annahme, da ich mir diese Situation nicht anders erklären kann: In Washington angekommen hatte ich komfortable 5 Stunden Zeitverschiebung, was dazu führte, das meine Nacht morgens um 3 zu Ende war. In der Zuversicht, dass dieses Jetlag in 1 – 2 Tagen vorbei, fliege ich weiter nach Nashville und komme in eine andere Zeitzone, erhalte eine weitere Nacht- bzw. schlaflose Stunde hinzu, eine Art Handycap.

Zu allem Überfluss werden heute in den gesamten USA im Rahmen der Beendigung der ‚daylight savings time‘ die Uhren um eine Stunde zurückgestellt! Ich ‚gewinne‘ noch eine Stunde! Langsam komme ich mir vor wie ein Läufer, der ein sich ständig entfernendes Ziel vor sich sieht und es nicht erreichen kann.

Pflichtbewusst stelle ich alle meine Uhren um und gehe zu Bett, gespannt wie diese Nacht wohl wird. Draußen wird es ab 21:30 ruhiger, die Liveband, die unter meinem Balkon gerade noch internationale Evergreens zum besten gegeben hat, verabschiedet sich von mir und ihrem Publikum. Bevor ich einschlafe höre ich nur noch den Wasserfall in meinem Mikrokosmos und das mir bereits vertraute Surren meinem Kühlschranks…

Sonntag, 04.11.

Als unfreiwilliger Teilnehmer des ‚advanced jetlag savings programm‘ gelingt es mir weiterhin die in mich gesetzten Erwartungen zu erfüllen und wieder gegen 3 Uhr aufzuwachen. Das allein ist ja nicht schlimm! Schlimm ist, dass ich nicht einfach nur ‚wach‘ bin sondern ’nicht-steigerungsfähig-hellwach‘. Das heißt anders gesagt: Dein Körper will los, ungeachtet der Tatsache, dass Du erst 4 Stunden im Bett liegst. Du machst einfach kein Auge mehr zu.

Also mache ich eine Tugend aus dieser verdammten Not und beginne den Tag halt etwas früher, als die anderen Leute in dem mich umgebenden Mikrokosmos ‚Gaylord Hotel‘. übrigens scheint nur mir der Name merkwürdig vorzukommen…

Ich stehe also gegen 5 auf, vertrödele ein wenig die Zeit, lege mich noch einmal ins Bett und schreibe an meinem Reisebericht. Ehe ich mich versehe ist es 7 Uhr und ich gelange zu meiner Überraschung sogar in Zeitnot.

Schnell angezogen und mit allem was mir für den Messeaufbau wichtig erscheint mache ich mich auf den Weg zum Frühstück. Doch das ist nicht so einfach: Zwar ist dies hier ein Hotel, und ein beeindruckendes zudem, doch gibt es hier keinen einzigen Frühstücksraum, wie sonst in Hotels aller Preislagen üblich. Zwei Gründe erscheinen mir für diesen ‚Mangel‘ plausibel:

1. Getreu dem Motto des Djungel-Hotels darf man von den Gästen durchaus erwarten, dass sie es vorziehen, ihre nächste Mahlzeit – so auch das Frühstück – dem menschlichen Urinstinkt folgend in dieser Hotelwildnis zu suchen und nicht einfach in einen Frühstücksraum zu gehen, im dem die einzige Herausforderung darin besteht, das richtige Müsli unter den 3 Dutzend Näpfen herauszufinden.

2. Ob der vielen tausend ‚Einwohner‘ dieses Hotels müsste sich der Frühstücksraum – wenn es denn einen gäbe – grob geschätzt über die Größe von 2 – 3 Football-Spielfeldern erstrecken, um allen Gästen und deren Frühstück genügend Platz zu bieten. Selbst für dieses Hotel eine beeindruckende Anforderung.

Was bleibt mit demnach anderes übrig, als mich in einer der Schlangen an der Lobby-Bar anzustellen, wo man Kaffee, Orangensaft und eine verwirrende Auswahl an süßem Gebäck kaufen kann.

Zunächst habe ich den Eindruck, dass ich hier endlos lange warten werde, doch dann geht alles sehr schnell und ehe ich mich orientieren kann, was ich außer einem Kaffee und einem Orangensaft haben möchte, bin ich auch schon dran. Ich entschließe mich – notgedrungen – spontan auf einige Dinge in der Vitrine zu zeigen (‚One of these, one of these, please…‘), verstehe den Preis, den ich für all das zahlen soll nur unvollständig, lege sicherheitshalber eine 20 Dollar-Note auf den Tresen und bekomme merkwürdigerweise nur ein paar Münzen Wechselgeld zurück. Ich hatte den Preis offenbar doch richtig verstanden, nur hatte mein Verstand das was die Ohren übermittelten als nicht akzeptabel zurück gewiesen. Auch das ist Amerika.

Egal, denke ich mir, Du hast Hunger, Du hast etwas zu essen, leg‘ los! Und so sitze ich in der Lobbybar zwischen den sich ständig um mich herum wandelnden Kofferburgen hektisch ein- und auscheckender Menschen und denke, dass wenn jeder dieser Reisenden nur einen statt der 3 – 4 Koffer auf diese Flugreisen mitnehmen würde, dann könnte das Ozon-Loch über der Antarktis wesentlich kleiner und das Eis an den Polen wesentlich weniger bedroht sein. Aber der Amerikaner an sich scheint seinen Hausstand gerne dabei zu haben. Immer. Auch und insbesondere im Djungel.

Nach meiner frühstücksähnlichen Mahlzeit breche ich zur Wanderung ins Convention-Center auf. Das Gaylord-Hotel mit seinem Veranstaltungs-Zentrum ist das größte seiner Art weltweit und ich glaube das einzige, das man vom Mond aus mit bloßem Auge erkennen kann. Gute Sicht vorausgesetzt!

Nach ungelogen 15 Minuten strammen Marsches erreiche ich die Halle in der Delta-Section der Zentrums. Unser Stand ist noch immer verwaist. Glücklicherweise sind die netten Kollegen von CGW nicht mehr da – weil schon fertig -, die mich gestern noch mit ein wenig Häme ob der vielen Kisten und des Chaos an unserem Stand begrüßten. Das macht es für mich erträglich.

Nach wenigen Minuten kommen Ross Bevacqua und Vincent Boshar, von denen ich zweierlei nicht erwartet hätte: Dass sie pünktlich kommen um den Stand aufzubauen und dass ich mir jemals ihre Namen merken könnte.

So positiv überrascht machen wir uns mit Eifer an die Arbeit. Halte ich die beiden zunächst für fleißig, stelle ich aber kurz darauf fest, dass sie am Nachmittag unter allen Umständen Football schauen wollen. Mir soll es recht sein, dann habe ich auch noch ein wenig Zeit für mich.

Der Standbau gelingt unter den gegebenen Umständen reibungslos, wir haben eine Menge Spaß. Die beiden sind witzig und spielen sich zu meinem großen Vergnügen die Witze im Stil routinierter Stand-up Comedians locker zu.

Ross ist Mitte 50, lebt in Cleveland, Ohio und ist der Regional Sales Manager für North West. Das heißt er fliegt quasi jeden Tag zur Arbeit, denn Ohio liegt in der nördlichen Mitte der USA und nicht im Nordwesten. Er ist sehr freundlich und bemüht sich um mich.

Vin ist Ende 40, schaut aus wie Frank Beier und benimmt sich auch so. Deja vue. Und dafür fliege ich so weit? Das hätte ich einfacher haben können. Vin lebt in der Nähe von Boston, was selbst ich aufgrund seines ausgeprägten Ostküsten Akzents gewusst haben könnte. Ich beschließe Vin einen zweiten Vornamen zu geben und nenne ihn ‚Listen‘, denn jeder zweite Satz von ihm beginnt mit ‚listen‘.

Wir drei schaffen den Stand bevor er uns schafft, trotz einer äußerst laschen Vorbereitung und Planung, auf die ich allerdings nicht hier sondern eher im Rahmen eines 4-Augengesprächs mit Jim Ballou oder einer Aktennotiz eingehen werde.

Am frühen Nachmittag sind wir dank der bevorstehenden Football-Spiele fertig. Meine Kollegen verabschieden sich in die erstbeste Sportsbar und ich wäre ihnen gerne gefolgt, aber ich habe ja noch eine Mission zu erfüllen: Mitbringsel kaufen! Zu Hause warten nicht nur die Lieben, sondern auch deren Erwartungen auf spektakuläre Souveniers auf meine Rückkehr. So vorbereitet mache ich mich wie ein moderner Krieger auf den Weg in Opry Mills-Einkaufzentrum, wo ich tags zuvor nahezu dem Kulturschock erlegen wäre.

Opry Mills am Sonntag muss man gesehen haben. Das kann man kaum in Worte fassen. Ich glaube ganz Nashville hat sich in seine gigantischen Pickup-Trucks gesetzt, um sie auf den riesigen Parkplätzen rund um die Mall zu parken. Ich überschlage grob, dass die Autos, die ich dort sehe, in einer sauberen Reihe hintereinander aufgestellt die Strecke von Nashville bis nach Boston mehrfach ausfüllen könnten. Können sie aber nicht, denn ihre Eigentümer sind alle in der Mall und bringen ihr Geld unter die Leute, als ob sie die Ladflächen ihrer Pickups mit nichts anderem als kubikmeterweise Reservegeld gefüllt haben.

Aber ich lasse mich in der Erfüllung meiner Mission nicht bremsen und mische mich unter die Big Spender. Nach geschätzten 15 km Fußmarsch durch nahezu jedes Geschäft (ich habe nur die Friseure, Telefongeschäfte und Nagelstudios ausgelassen) habe ich an jeder Hans eine respektable Anzahl von Tüten und Taschen und kann mich zumindest für einige Zeit erfolgreich fühlen. Was ich für wen erstanden habe wird natürlich nicht verraten!

Als ich mich auf den Weg zurück mache, dämmert es zunächst draußen und dann mir, dass ich einige Zeit in der Mall verbracht habe. Aber deshalb – unter anderem natürlich – bin ich ja hier.

Amüsiert stelle ich fest, dass man auf dem Parkplatz damit begonnen hat, die Fahrzeuge der Käufer und Mall-Besucher gegen die Fahrzeuge der Konzertbesucher (die sehr bekannte und nicht weniger geschätzte Country Sängerin Martina McBride gibt sich heute Abend die Ehre) auszutauschen. Man muss schon genau hinschauen, um das System des Kommens und Gehens zu durchschauen: Der Nashviller an sich trägt zum Einkaufen Jeans, Stiefel, ein grob kariertes Hemd, einen Cowboyhut und jede Menge Einkauftüten. Zum Konzert trägt er das gleiche, bis auf die Einkaufstüten.

Ich bringe meine Einkäufe auf mein Zimmer und schaue mir die verbleibenden beiden viertel des Football-Spiels New England Patriots gegen Indiana Colts an. Die Pats (wie sie hier genannt werden) liegen zurück, schaffen aber noch die Kehrtwende und gewinnen schließlich 24-20. Ich weiß nicht was das bedeutet und warum sich die Trainer anschließend keines Blickes würdigen. Macht aber auch nichts, schließlich würde das nichts am Ergebnis ändern. So nehme ich den Sieg der Pats interessiert und auch ein wenig erfreut zur Kenntnis, denn schließlich steht auf meinem Namensschild ‚MA‘ für Massachusetts und das liegt wieder in New England. Gut, ne?

Es wird Zeit eine ordentliche Hose und ein sauberes Hemd anzuziehen, denn der offizielle Empfang hat schon begonnen. Da hat bei der Planung wohl niemand an das Football-Spiel gedacht. Auf meiner erneuten Wanderung zum Convention-Center treffe ich fein herausgeputzt auf einen verirrten Tagungsteilnehmer, den in kurzerhand mitnehme. Der ist dafür sehr dankbar und wir kommen gehend ins Gespräch, als er – weil er sehr klein und sehr dick ist – keuchend und neben mir hergalopperen hervorbringt, der Weg komme ihm so weit vor, wie die Strecke von Kentucky bis hierher. Ich erläutere, dass ich aus Deutschland komme und nicht genau wisse, wie weit es von Kentucky bis hier her sei, er vermutlich aber Recht habe. Dass ich aus Deutschlad ‚all the way down here‘ komme findet er so toll, dass er vor lauter Begeisterung vergisst zu schnaufen und mich dabei anstrahlt, als sei ich der Hauptpreis einer Lotterie. Bevor sich unsere Wege trennen wünscht er mir viel Glück meine Kollegen auf dem Empfang zu finden.

Als ich den Delta Ballroom betrete werden mir plötzlich zwei Dinge klar: Erstens, dass Dickie aus Kentucky nicht untertrieben hat, als er mir Glück für die Suche nach meinen Kollegen wünschte, und zweitens, dass der Delta Ballroom ein absolut idealer Frühstücksraum sein könnte, so groß ist er. Bei präziserer Planung hätte man selbst das Football-Spiel des Nachmittags hier stattfinden lassen können, dann wären die Leute auch pünktlich gewesen.

Vorn auf der ungefähr 1 Meile entfernten Bühne wärmt eine Country-Band die Anwesenden auf das Martina McBride Konzert an. Ich kann 4 Personen auf der Bühne erkennen, habe aber das Gefühl, dass die Musik, die ich höre nicht zu den Bewegungen auf der Bühne passt. Als ich auf der Suche nach meinen Kollegen näher an die Bühne herankomme stelle ich fest, dass Bild und Ton doch zusammen passen. Vermutlich war ich einfach zu weit entfernt und habe über die Distanz eindrucksvoll erleben können, dass eben Licht schneller als der Schall ist.

Nach etwa einer Stunde erfolgloser Suche unter den etwa 3000 Gästen rufe ich Ross an und rechne damit, dass gleich neben mir sein Handy klingelt. Tut es aber nicht, denn Ross und Vin stehen ganz woanders direkt an einer der zahlreichen Getränkeausgaben. Im Nachhinein eigentlich logisch und ich hätte sie mit diesem Wissen leicht finden können.

Mittlerweile brechen die meisten Gäste zum Martina McBride Konzert auf und ich frage Vin ob er auch geht. Er fragt mich, ob ich Interesse daran habe mir 75 Minuten lang Lieder von und über verlassene Männer und Frauen, über kaputte Pickup-Trucks, niedergebrannte Felder und verendete Viecher anhören möchte? Möchte ich nicht und beschließe den Rest meines Lebens zu verbringen ohne Martina McBride kennen gelernt zu haben.

Wir landen schließlich bei Findleys – deja vue!!! – trinken noch zwei Bier mit einigen Kunden, deren Akzent schwer einzuschätzen ist. Ich tippe auf Australien, was natürlich völlig falsch ist, aber auch nur ein Witz sein sollte, verabschiede mich wenig später und mache mich auf den Weg in mein ‚Viertel‘.

Dort angekommen stelle ich beeindruckt fest, wie weit der Weg war (Kentucky lässt grüssen), denn ich bin schon wieder durstig. Es bietet sich also an, in der Cascades Terace Lounge noch einen Absacker zu nehmen.

Es ist voll in der kreisrunden Lounge und ich muss eine Weile warten, bis ich einen Platz an der Bar habe und mein Bier bekomme. Ich trinke während ich die anderen Gäste beobachte mein Bier, als ich plötzlich feststelle, dass sich die Welt um mich zu drehen scheint. Gut, denke ich, jetzt geht’s aber ab ins Bett, mein Junge. Ich bin überrascht und ein wenig verwirrt und schiebe meinen Schwips auf das Jetlag.

Als ich die Lounge verlasse, stelle ich fest, dass die Bar auf einer großen sich langsam drehenden Scheibe steht. Das war es also. Auch das ist Amerika.

Ich gehe auf mein Zimmer und sofort – und zur Strafe ohne Fernsehen – zu Bett. Mein letzte Gedanke gilt nochmals dem Delta-Ballroom: Ich muss morgen unbedingt dem Hotelmanagement vorschlagen ihn wenigstens morgens als Frühstücksraum, sonst fehlt mir irgendwas…

Doch dazu morgen mehr.

Montag, 05.11.

Wider Erwarten spreche ich nicht beim Hotelmanagement bezüglich meines Vorschlags, den Delta-Ballroom zum Frühstücksraum zu machen, vor, denn man hat mich letzte Nacht zu meiner grenzenlosen Überraschung aus der Teilnehmergruppe des ‚advanced jetlag savings programm‘ entlassen. Zugegeben, die Nacht war unruhig, ich habe so oft auf die Uhr geschaut, dass ich die Zeit dank eines guten Timings häufig ohne Hinschauen hätte ansagen können. Aber letztlich schlafe ich endlich bis 5 Uhr und kann somit 6 – 7 Stunden Schlaf auf der ‚Haben-Seite‘ verbuchen. Zwar ist dieses Konto noch nicht ausgeglichen – ich bin schlaftechnisch noch immer feste in den roten Zahlen – aber die Tendenz stimmt, we finally made the turn around.

Mit dem üblichen Trödeln mache ich mich um 6:30 auf den Weg ins Fitness-Center, im guten Glauben dort um diese Uhrzeit Ruhe genießen zu können. Als ich die Tür zum Center öffne traue ich meinen Augen zunächst nicht: Ich denke spontan, dass das Hotelmanagement meinem unausgesprochenen Rat folgend dort wo das Fitness-Center war einen Frühstücksraum eingerichtet hat und dass alle Tagungsteilnehmer, die ich gestern noch im Delta-Ballroom sah, nun hier zum Frühstück erschienen sind. Im Sport-Klamotten versteht sich. So voll ist es! Amerika bewegt sich offenbar doch nicht nur durch den Drift Ihrer Kontinentalplatte.

Ich vertreibe mir die Zeit, bis eines der Laufbänder frei ist im Eisen und wuchte eine paar ‚lbs‘. ‚lbs‘, das ist hier die Einheit für Gewichte und heißt übersetzt nichts anderes als ‚Pfund‘. Aber auch hier sind die dicken Hanteln viel schwerer, als die dünnen, obwohl ’nur‘ Pfund drauf steht. Egal, ich wuchte ein paar Pfunde und als schließlich eine Laufband frei wird mache ich mich auf den nicht enden wollenden Weg und laufe eine gute halbe Stunde, bis das Band mit mir und meiner einem Zwischentief ähnlichen Form ein Einsehen hat.

Ich dehne ausgiebig und gehe anschließend zunächst duschen und dann auf Frühstücks-Jagd in den nahegelegenen Djungel.

Da ich mit dem mir von POA großzügiger Weise zugestandenen ‚Jamba-Sparabo‘ nicht nur täglich zwei kleine Flaschen Wasser, sondern auch eine Tageszeitung mein Eigen nennen darf, packe ich mir sauber und wohlriechend eben diese und gehe Frühstück suchen.

Da ich ja schon fleißig war entscheide ich mich für den kurzen Weg zur Lobbybar, auch wenn man da länger anstehen muss. Stehen kann ich besser als Laufen, weil die Wege hier so weit sind.

Mit Kaffee, O-Saft und einem Blueberry Muffin suche ich mir einen Platz zum frühstücken und Zeitung lesen. Ich finden einen Tisch auf dem Karussell, mit dem ich am Abend zuvor nichts ahnend meine Runden gedreht habe. Nur jetzt steht die Mühle und bewegt sich nicht…

Da ich Zeit habe, lese ich ausführlich und mit großer Genugtuung; nichts besonderes sondern einfach nur so: Ich lese und habe Zeit. Angenehm.

Es folgt ein kurzer Spaziergang draußen. Ich genieße die Ruhe, die man nur hier draußen in den Weiten der Parkplätze haben kann, und die entspannende Sonne bei herzerwärmenden 20 Grad. Wer weiß wie das Wetter in MA sein wird???

Schließlich wird es Zeit mich für die Messe fertig zu machen. Die Kleiderordnung sagt, dass heute ‚blue shirt, khaki pants‘ angesagt ist. Da ich aber noch keine Hemden habe – außer einem weißen, das mir Phil Benincaso mal schenkte – ändere ich kurzerhand meine Pläne und beschließe die Farbkombination auf das kontrastierende ‚blau-weiß zu tragen.

So aufgeputzt am Stan angekommen schüttelt Ross nachdenklich den Kopf und meint, dass sehe zwar prima aus, aber er gehe davon aus, dass die für heute angesagte Kombi gilt, und nichts anderes.

Er greift zum Handy, ruft Gene an, der wiederum bereits versucht hat mich in meinem Zimmer anzurufen, obwohl ich bereits früh morgens versucht hatte ihn auf seinem Handy anzurufen, wobei er meine Anrufe jedoch weggedrückt hat, und fädelt somit schlussendlich die Hemdenübergabe ein:

Gene’s Zimmer liegt in der Cascades Area, ein Stockwerk und ein paar Schritt nach Westen über meinem Zimmer (es empfiehlt sich in diesem Hotel absolut mit Himmelsrichtungen zu arbeiten). D.h. Gene, und damit auch meine Hemden, sind exakt dort, wo ich gerade nichts ahnend hergekommen bin, etwa 15 Minuten Fußweg südwestlich von meinem aktuellen Aufenthaltsort.

Ich spreche mit Gene und mache mich umgehend auf den Rückweg. Damit ich schneller bin wähle ich den schmalen und etwas dunklen River Walk. Dummerweise kennen diese Abkürzung offenbar viele andere Tagungsteilnehmer (oder sie laufen einfach alle einem einzelnen, der den Weg kannte hinterher), so dass ich hier nur langsam vorankomme: Schließlich kommen mir alle entgegen, denn ich bin der einzige, der von der Messe wegläuft. Schicksal.

Ich erreiche Gene’s Zimmer später als erwartet – er ist noch da – hält mich aber für die ‚Room Maid‘, die das Zimmer aufräumen soll, was zu einer merkwürdigen, für ihn leicht peinlichen Situation führt, auf die ich nicht näher eingehen möchte…

Mit 4 Fabrik neunen Hemden – die Labels sind noch dran und natürlich auch eine beachtliche Anzahl von Knicken und Falten (das wäre bei uns nicht passiert) warte ich zum 1000sten mal auf einen Aufzug.

Dieses mal dauert es für meine Begriffe eine Ewigkeit, bis der Aufzug endlich kommt. Lange genug jedenfalls, dass ich feststellen kann, dass ich keinen Zimmerschlüssel dabei habe. Als der Aufzug kommt fahre ich natürlich nicht von 5 nach 4, sondern gleich runter bis in die Lobby, um mir einen neuen Schlüssel anfertigen zu lassen.

Am Check-in angekommen stehe ich leicht angeschwitzt mit vier Hemden auf dem Arm in der Schlange und warte auf einen freien Mitarbeiter. Ich könnte jetzt seitenweise Dinge über Amerikaner in Warteschlangen schreiben, tue ich aber nicht, denn während ich noch zur Belustigung der anderen Gäste beitrage (ich sehe aus wie ein Gestrandeter, der außer 4 Fabrik neuen Hemden nichts von seinem Hab und Gut hat retten können), bin ich auch schon dran.

Die Dame am Check-in wirkt ob meiner Bitte um eine neue Karte leicht gereizt, was mir bei einem Übernachtungspreis von 230 $ die Nacht (ohne Frühstück) ein wenig übertrieben erscheint. Dennoch halte ich es für angebracht mich für die Umstände, die ich ihr mache, zu entschuldigen, worauf sie mich wie weiland meine Kindergärtnerin anschaut und sagt ‚this should be the first and the last time you forget your keys, Florian‘. Und das genau bringt mich in eine schwierige Situation: soll ich lächeln oder soll ich mich aufregen? Meine Entscheidung fällt auf lächeln, ich beuge mich wie ferngesteuert zu ihr über den Tresen hin, mein Mund öffnet sich und ich höre mich süß lächelnd sagen ‚I promise I will!‘ Das überrascht sie, sie schaut mich verdattert an, gibt mir die Karten – 2 Stück, wahrscheinlich damit immer noch eine habe, falls ich Trottel wieder eine verlegen sollte – mit dem Hinweis, dass die alte Karte nicht mehr funktioniert und beordert mit einem schneidigen ’next please‘ den nächsten zu drangsalierenden 230-$-die-Nacht-Zahler zu sich an den Tresen.

Ich raffe dankend meine Hemden zusammen und suche das Weite. An meiner Zimmertür angekommen stelle ich fest, dass nur eine der beiden Karten funktioniert. Immerhin, denke ich, und überschlage kurz in wie weit das meine Chancen beeinflusst noch mal bei meiner Kindergärtnerin antreten zu müssen.

Da ich dazu im Grunde gar keine Zeit habe (ein schönes Gefühl), bündele ich meine Konzentration darauf mich umzuziehen und alle für der Rest des Tages notwendigen Utensilien an mich zu nehmen, inklusive der einzigen noch funktionierenden Schlüsselkarte.

Jetzt schnell zurück zur Halle, wie gesagt 15 Minuten Fußweg. Ich reihe mich in den Strom der Menschen ein, die offenbar alle in die gleiche Richtung gehen. Wie die Lemminge schaut das aus, und ich mittendrin. Und da die meisten Lemminge etwas dicker sind als ich, bewegt sich die Masse den Newton’schen Gesetzen streng folgend träge. Das nehme ich als von Gott gegeben hin und versuche mich ein wenig zu entspannen und bemühe mich um die Reduktion meiner Betriebstemperatur. Das Fitnessstudio heute früh hätte ich mir schenken können. Prüfend taste ich meine Hosentasche ab: Ja, Frau Kindergärtnerin, ich habe meinen Schlüssel dabei!

Die Messe startet verheißungsvoll. Unser Stand liegt direkt am Eingang und so haben wir in der ersten halben Stunde gut zu tun. Später wird es etwas ruhiger und ich nutze die Gelegenheit mich etwas in der Halle umzusehen. Für mich überraschend ist, dass sehr viele Aussteller die Gelegenheit nutzen, sich im Rahmen dieser STAFDA (Specialized Tools and Fasternings Distributors Association) zu nutzen. Ich zähle nicht weniger als 15 andere Aussteller aus dem Schleifmittelbereich. Beeindruckend.

Das Geschehen am Stand ist schnell beschrieben: Jeder kennt jeden, jeder haut jedem auf die Schulter, dass es nur so kracht und es wird viel und laut gelacht. Bin ich so weit geflogen, um nur das zu erfahren? Mitnichten. Originell finde ich – und davon können wir uns ‚eine Scheibe abschneiden‘ – den großen Aufdruck auf den Hemden eines Standteams: ‚Not made in China‘. Ob das als Verkaufargument genügt? Witziger ist aber unbestritten der Stand, der leer ist, bis auf einen Mann und sein hastig selbst gemaltes Schild ‚I am here, but UPS sent my booth to Spokane‘. Spokane liegt im Staat Washington im äußersten Nordwesten der USA, geschätzte 5000 km entfernt. Gratulation. Mit diesem Stand gewinnt er vielleicht einen Preis in der Sonderkategorie ‚Improvisation und Pragmatismus‘. And the Oscar goes to…

Die Messe geht heute nur von 12 bis 18 Uhr. Trotzdem kommt es mir sehr lang vor. Ich spreche mit einigen unserer Verkaufsrepräsentanten und stelle fest, dass sie sehr ‚PFERD-minded‘ sind. Das finde ich gut. Ich werde es der Kindergärtnerin erzählen. Dann lobt sie mich vielleicht und alles wird wieder gut.

Meine Kollegen gehen am Abend ‚downtown‘, wie das hier heißt. Ich nehme an, dass sie entgegen ihrer Angabe nur ‚rüber in die Stadt‘ fahren. Ich wäre gerne mit gegangen/gefahren, aber ich ziehe es vor meinen Koffer zu packen und mich auf meine Abreise morgen vorzubereiten.

Nachdem ich den Tag über außer meinem Standardfrühstück ‚Kaffee, O-Saft, Blueberrry Muffin‘ nur eine ‚Chick-a-fill‘ Sandwich hatte (was man nicht alles im Kopf behalten muss!), gönne ich mir am letzten Abend im Gaylord-Hotel ein ‚Grilled Ham Sandwich‘ und eine ‚Blackstone Beer‘ (domestic weil Heineken gibt’s bei uns auch und Light Beer macht nicht so schön dümmelig) bei Finnley’s und fühle mich noch einmal wie Gott in Frankreich, sorry, wie Bush in USA. Wenn es nur um die Sandwiches ginge könnte ich hier bleiben.

Auf meinem Weg zurück zu meinem Zimmer mache ich noch eine Reihe von Fotos von dem festlich geschmückten Hotel. Schon ein wenig schade, dass ich morgen wieder fahren muss…

Als ich meine Zimmertür öffne bin ich froh, dass ich die richtige der mittlerweile 3 Karten eingesteckt habe, mache mir den Fernseher an und stelle fest, dass es im Norden der USA erstmals in diesem Jahr zu so genanntem ‚Lake Effect Snow‘ kommen soll. Morgen. Man rechnet unter anderem mit Störungen im Flugverkehr. Das ist genau das, was ich jetzt brauche: Wenn Du ins Flugzeug steigst und nicht sicher sagen kannst wo Du landest, außer in der Saukälte.

Aber darüber morgen mehr. Ich bin selber gespannt wie diese Geschichte weiter geht…

Dienstag, 06.11.

Der Tag heute ist so ein ‚in between Tag‘, bei dem man vorher schon weiß: Wahrscheinlich wird das heute eine ganz langweilige Nummer.

Und genau dieses Gefühl stellt sich bei mir bereits morgens kurz nach dem Aufstehen ein: es wird das gleiche Frühstück sein, das ich jagen werde, es wird der gleiche Weg zur Messe sein, sollte ich mich nicht wider Erwarten verlaufen, ich werde in etwa die gleichen Leute treffen und über die gleichen Witze lachen.

Das ganze soll nicht zu pessimistisch klingen, aber die thematische Prägung des Tages erscheint mir genau so wenig gehaltvoll, wie die hier aktuell so häufig zitierten Aussagen der kommenden Präsidentschaftskandidatin Hilary Clinton. Man wirft ihr vor unablässig zu reden ohne etwas zu sagen und sich somit auf einen Standpunkt fest zu legen.

Meiner nicht entscheidenden Meinung nach ist das eine unter Politikern im Allgemeinen weit verbreitete Eigenschaft und stellt somit möglicherweise eine der Grundvoraussetzungen für eine erfolgreiche Karriere dar. Zum anderen darf ich daran erinnern, dass Amerika mit G.W. Bush, Carter und Reagan z.B. durchaus schon einige totalitäre, Erdnuss züchtende Schauspieler und damit ebenso streitbare Präsidenten ihr Eigen nannte. Immerhin ist Mrs. Clinton mit einem Musiker verheiratet…

Also entwickelt sich mein Tag ein wenig eindimensional. Spannung bringt lediglich die Wettervorhersage für die Gegend um Chicago: es wird den ersten ‚Lake Effect Snow‘ geben. Was ist das? In einem südlich gerichteten Strom zieht kalte Luft aus Kanada über die Großen Seen, deren Wassertemperatur höher als die der Luft ist. über den Seen bilden sich Schnee-Wolken, die mit der Strömung nach Süden getrieben werden. über dem Festland beginnt es zu schneien. So einfach ist das.

Die augenblickliche Luftströmung ist südöstlich, und damit sind auch die New England Staaten betroffen. Diese Kaltfront reicht herunter bis nach Tennesse. Das bemerke ich auf meinem Weg zum Frühstück, als ich an einer nach außen offen stehenden Tür vorbei laufe und denke, dass dort jemand die hier allgegenwärtigen Klimaanlagen mächtig aufgedreht hat, bevor ich bemerke, dass es sich um (wirklich) frische Luft von draußen handelt.

CNN warnt vor Flugausfällen und einem Verkehrschaos, und plötzlich hat mein Tag einen Sinn: Ich kann mich sorgen, dass ich nicht nach Providence komme!

Nach Frühstück und Messe beginnt mein heutiger Wettkampf in den Disziplinen

– benutze möglichst viele verschiedene Verkehrsmittel

– verschwende möglichst viel Zeit wartend

– sorge Dich möglichst aufzehrend darüber, wo Du heute Nacht schläfst

– stelle Dich in möglichst vielen Schlangen an und nehme dabei immer vorzugsweise die, die sich am langsamsten bewegt

– friere möglichst lang anhaltend.

Na denn, das nenne ich doch mal eine Mission.

Die Messe läuft etwas schleppend an, doch das scheint niemanden zu interessieren. Ich nutze die Zeit um mich von Patrick und seiner Schwester Melanie zu verabschieden.

Melanie lebt bereits seit 14 Jahren in Las Vegas und arbeitet dort als Personalchefin für ein Fitness-Studio. Ja, in Amerika haben Fitness-Studios nicht nur Trainer und Mitglieder, sondern bisweilen auch Personalchefs und -Abteilungen, zumindest die größeren Studios. Melanies Studio hat 130.000 Mitglieder und gehört zu den größeren Studios.

Wir kommen auf das Thema, weil ich sie frage, was sie nach Las Vegas verschlagen hat? Sie erzählt, dass sie eigentlich nur Freunde besucht hat und eine Weile als Fitnesstrainerin gearbeitet. Dann ist sie einfach 14 Jahre geblieben. Amerika halt.

Natürlich haben wir auf dieser Basis sofort ein Thema und als ich ihr erläutere, dass ich als Drillingtrainer arbeite, sagt sie, dass sie genau so jemanden als ‚Boot Camp Trainer‘ suche und macht mir ein unwiderstehliches Job-Angebot. Ich laufe laut schreiend vom Stand bevor sie mich nach meiner Meinung fragen kann. Sicher ist sicher!

Kurz nach Mittag checke ich aus und beginne meinen amerikanischen Mehrkampf, im dem ich den Shuttlebus zum Flughafen nehme.

Dort angekommen versuche ich mich an einem Selfservice-Counter einzuchecken, was verständlicherweise desaströs endet, was allerdings nicht mein Fehler ist: Auf meiner Flugbestätigung fehlt die Confirmation-No.. Eine freundliche Angestellte bemerkt offenbar meine Not und bietet Hilfe an: Mit meiner Kreditkarte (gute, gute Karte) bin ich schnell identifiziert und eingecheckt. Als ich meinen Koffer auf die Waage stelle bemerkt sie, dass er 2 lbs zu schwer ist und ich dafür eine Strafe zahlen müsse. Da ich ob ihres ernsten Gesichtsausdrucks davon ausgehen muss, dass die Höhe der Strafzahlung mindestens 1.000.000 $ sein muss, biete ich an, einige Gegenstände aus dem Koffer in meine Tasche zu packen. Sie willigt ein und ich sehe mich unversehends mitten im Check-in mit meinem Koffer, meiner Tasche und den Innereien von beiden kämpfen, und dies unter Aufsicht der anderen Reisenden, die interessiert ihre Hälse recken, um zu sehen, was dieser Idiot da vorne macht.

Das Gewicht des Koffers stimmt und mit meiner Bordkarte zwischen meinen Lippen und allerhand anderem Kram fest an mich gepresst versuche ich den neugierigen Blicken endlich zu entkommen.

Unvermittelt beginne ich mit der nächsten Disziplin, dem Warten, denn ich habe noch annähernd 2 Stunden Zeit bis zum Boarding. Hinter mir feiern 4 Kerle ausgelassen, keine Ahnung was, jedenfalls so lautstark, dass ich mich kaum auf mein Buch konzentrieren kann.

Etwa eine halbe Stunde bevor das Boarding starten soll passiert etwas für die USA typisches, was auf uns Europäer immer etwas merkwürdig wirkt: Die Fluggäste beginnen sich in drei sauber sortierten Reihen für das Boarding aufzustellen. Jeder in seiner Reihe, je nach dem was auf dem Boardingpass steht, A, B oder C. Das allein ist vielleicht noch nicht so ungewöhnlich, aber die Tatsache, dass sie sich alle anstellen, obwohl das Flugzeug noch gar nicht da ist, finde ich absolut bemerkenswert! Die stehen einfach an und da, obwohl jeder Zeit eine Durchsage kommen kann, dass sich die Ankunft des Fluges auf unbestimmte Zeit verschiebt, weil das Space Shuttle auf seiner Rückkehr aus dem All die Flugbahn des Flugzeugs kreuzt. Ich frage mich, ob sie auch bei ein, zwei oder drei Stunden Verspätung da stehen bleiben, oder was sie bei einer Cancelation machen? Stehen bleiben, weil der nächste Flug vielleicht auch von diesem Gate geht? Theoretisch möglich.

Das Flugzeug kommt mit etwa 30 Minuten Verspätung rein, die ersten in der Reihe vorn sind während sie dort warteten geschätzte 4 cm geschrumpft und schon geht das boarden los, und das wiederum ist eine Show für sich.

Der Amerikaner an sich fliegt viel und offenbar nicht ungern. Ich glaube viele Amerikaner sind wahrscheinlich in der Luft geboren. Und weil sie so oft fliegen boarden sie hoch professionell. Kein langes ‚ist hier noch frei‘ oder ‚ich schiebe Ihre Tasche ein wenig zur Seite, dann passen meine 3 Taschen auch noch in das overhead bin‘, sonder sie werfen sich einem Meteoriteneinschlag ähnlich mit einem ‚hadojodu‘ in den Sitz neben Dir, dass Du schon Druck auf dem Ohr hast bevor es los geht, und zimmern dann ihr Gepäck in das Fach, das Du Angst hast, dass Dein Handgepäck durch die Außenwand aus dem Flugzeug herauskatapultiert wird und Du es beim Blick aus dem Seitenfenster einsam auf dem Rollfeld liegen siehst.

Nachdem eine 737-300 mit immerhin über 120 Passagieren so innerhalb von 4 Minuten 36 Sekunden geboardet hat passiert das eigentlich kuriose: der Ramp-Agent erscheint noch einmal kurz im Flugzeug und ruft ohne Zuhilfenahme der in modernen Flugzeugen üblichen Lautsprecheranlage in das Flugzeug hinein ‚OK folks, sit down and buckle up‘ (OK Leute, hinsetzen und anschnallen) und verschwindet aus der Maschine. Fehlt nur noch das ‚…and shut up‘ (Schnauze halten). Doch dafür ist offenbar keine Zeit, denn das Flugzeug setzt sich unmittelbar danach und bevor die letzten sitzen in Bewegung. Es besteht kein Zweifel, der wollte uns los werden.

Mir soll’s recht sein, meine Tag könnte bald enden. Ich bin müde und ich friere seit Stunden, womit eine weitere Disziplin erfüllt ist. Ich bin gut und so fühle ich mich auch, als wir überraschend tief und schnell fliegen: Die Städte unter uns sind zum greifen nah. Ein schöner Flug mit der durchaus empfehlenswerten Southwest Airlines.

Wir kommen noch vor unserer planmäßigen Ankunft in Providence, Rhode Island an. Rhode Island ist etwas größer als Das Gaylord Hotel, und damit der kleinste Staat der USA. In RI kannst Du so schnell fahren wie Du willst, denn selbst wenn Du geblitzt wirst könnten sie Dich erst im Nachbarstaat anhalten, es ist so klein, dass Du so schnell drin und wieder raus bist.

Beim Aussteigen geht ein indisch ausschauender Fluggast aufreizend langsam vor mir den Finger rauf, schwankt dabei so sehr hin und her, dass ich ihn nicht überholen kann. Erst im Abfertigungsgebäude kann ich Randschid – ja ich habe genügend Zeit mir einen Namen für ihn auszudenken – hinter mir lassen.

Als ich am Kofferband ankomme, ist er längst außer Sichtweite. Mein Gepäck ist vollständig angekommen und meinen Koffer ziert ein hübscher rotweißer Zettel. Das soll wohl bedeuten, dass das Ding schwer ist. Das kann man ob seiner Größe wohl annehmen und ich frage mich warum ich ihn noch umpacken musste, damit der die Gewichtsgrenze unterschreitet. Ich beschließ dass ich keine Schuld an dieser Auszeichnung habe und dass Southwest auch Koffer so kennzeichnet, die ‚fast so schwer‘ sind wie sie sein dürfen. Amerika halt.

Jetzt muss ich nur noch den ’shared van‘, der ‚ganz rechts‘ auf dem ’short term parking lot‘ steht, finden. Zwei freundliche Polizisten bellen mir entgegen, dass ich nur gerade ausgehen muss und ich ‚directly run into it‘. Ich bedanke mich artig, muss mich anschließend aber noch mit einer zusätzlichen Information freikaufen: ‚Your nationality, Sir?‘ bellt der Große und ich überlege kurz ob ich ‚chinese‘ antworten soll, nur so zum Spaß. Da mich die beiden in diesem Fall für die offensichtlich falsche Antwort hätten töten müssen, bleiben ich bei der Wahrheit und belle mit fester Stimme ‚Germany, officer‘ zurück, worauf er ohne mit der Wimper zu zucken und nicht minder scharf antwortet ‚Allrightsirhaveaniceevenin‘. Es war wirklich wie ein Wort.

Ich nutze die Situation und mache mich schnell so wie es mein schwerer Koffer zulässt (hat wahrscheinlich die Spur verstellt) auf den Weg zum Parkplatz, bevor ich weitere Fragen beantworten muss.

Das Auto, einen dieser gigantischen Vans mit einer zweiflügeligen Tür auf der Seite finde ich schnell: Er steht mit laufendem Motor und voll beleuchtet da und der Fahrer, ich glaube es ist Markus Maria Profitlich stürzt mir wie sein Comdy-Pendant entgegen. Fast muss ich lachen, die Ähnlichkeit ist verblüffend.

Das Auto hat so viele Sitzplätze, dass ich mich nur schwer für einen entscheiden kann. Als ich sitze und erwartungsfroh dreinschaue erläutert mir der Fahrer, dass wir noch einen anderen Fahrgast haben, auf den wir noch warten. Und wir warten und warten und warten. Und schließlich kommt er auf den Van zugeschlappt und ich kenne sogar seinen Namen: Es ist Randschid.

Die Fahrt daürt etwa 90 Minuten, weil wir erst Randschid nach Hause bringen müssen und es ist 21:45 als ich endlich im Four Points Sheraton in Leominster ankomme.

Bevor ich zu Bett gehe gönne ich mir an der Bar noch zwei Bier einer lokalen Sorte die ‚Wachusett‘ heißt, ein Name, den ich durchaus praktisch finde: Man stelle sich vor: Du bist in Amerika, genießt ein paar Bier an der Theke und das mit der Sprache (verstehen und sprechen) wird immer schwieriger. Und wenn die Barkeeperin fragt ‚wouldyouguygetanotherbeeeeeer‘ fragst Du leicht angesauselt ‚whatdidyousay‘ und die Barkeeperin versteht ‚Wachusett‘ und schon hast Du ein neues Bier, Du weißt zwar nicht warum, aber irgendwie bist Du glücklich.

Amerika halt. Bis morgen.

Mittwoch, 07.11.

Heute muss ich arbeiten, ganz normal in einem Büro und ich werde nichts lustiges erleben, dass ich in dieses Tagebuch schreiben kann.

Jim Balou holt mich um 8:00 am Four Points Sheraton Hotel in Leominster ab und wir fahren zur Jytec Area, wo POA angesiedelt ist. Die Fahrt dauert nur 15 Minuten. Jim wählt den Weg durch die Stadt, weil er mir etwas von der Stadt zeigen möchte.

Jim fährt einen dieser Trucks von Ford, äußerlich unauffällig aber mit fetten 8 Zylindern und 4.8 Liter Hubraum, ‚only the small engine‘, wie Jim sagt. Bei uns könnte man daraus locker zwei Motoren mit beachtlicher Leistung machen.

Doch zuvor steuert er einen Dunkin‘ Donuts an, um uns Kaffee zu kaufen, natürlich im ‚Drive In‘ wie die Autoschalter hier heißen. Nachdem wir bestellt haben fahren wir zum Ausgabefenster, als Jim in den Rückspiegel blickend unvermittelt lachen muss. Ich frage warum er lacht und Jim entgegnet: ‚The guy’s truck behind us had to turn off his Diesel engine because ist was so loud he couldn’t place his order propperly‘. Das wird dann wohl die lustige Geschichte für heute sein.

Bevor Jim mir etwas zu Leominster sagen kann sind wir auch schon bei POA. Er zeigt mir die Firma, stellt mich überall vor. Anschließend beginnen wir zu arbeiten.

Mittags bestellen wir Pizza. Das ist gut organisiert: Eine Kollegin macht – weil es die Sache vereinfacht – für jeden Mitarbeiter eine Fotokopie der Speisekarte eines ortsansässigen Pizza-Services und verteilt diese. Jetzt muss ich nur noch aussuchen, etwaige Sonderwünsche vermerken und meinen Namen leserlich auf das Blatt schreiben. Fertig. Nach einigen Minuten kommt ein anderer Kollege und sammelt die Karten wieder ein.

Nach weiteren 30 Minuten sitzen wir zusammen im Aufenthaltsraum, die Kollegen sagen ‚Mahlzeit‘ (ja, das tun sie wirklich) und wir beginnen zu essen und schauen dabei Nachrichten im TV. So lasse ich mir das Gefallen. Ich habe eine Meat Lovers, die es so nur in den USA gibt. Natürlich wird sie geschnitten geliefert und ohne Zuhilfenahme von Hilfsmitteln oder sonstigen Werkzeugen direkt aus dem Papp-Karton gegessen. ‚Papp-Karton‘ heißt auf amerikanisch übrigens ‚gaylord‘, erfahre ich und das verunsichert mich nun vollends: Habe ich 4 Tage in einem Karton gewohnt? Und warum kommt dieser Name nicht allen merkwürdig vor, sondern nur mir und das aus völlig anderen Gründen??

Der Nachmittag ist anstrengend. Wir werden oft unterbrochen und meine Konzentration lässt zunehmend nach (klingt paradox, ist aber so). Um 18:30 bringt Jim mich zurück ins Hotel. Ich lehne es ab, dass wir noch gemeinsam ausgehen, denn wir werden noch einige Tage miteinander verbringen.

Statt dessen gehe ich gegen 19:30 ins Restaurant, dass unten im Hotel ist und freue mich auf einen der hier völlig anders zubereiteten Burger.

Vorher allerdings möchte ich meinen Reisebericht weiter schreiben. Das sage ich auch der Kellnerin, die mir gerne ein Bier vorab bringt. Ich bestelle natürlich wieder ‚Wachusett‘. Sicher ist sicher.

Nachdem ich das 3. Bier bestelle ist es 21:30 und ich lasse die Kellnerin wissen, dass ich nichts mehr essen möchte, worauf sie mir unaufgefordert und ebenso kommentarlos die Rechnung bringt.

Ich finde, dass dies sowohl ein ausgesprochen unfreundlicher Akt , als auch eine einzigartige Gelegenheit ins Bett zu gehen ist und mache mich umgehend auf den Weg. Da ich ja nicht mehr im Papp-Karton wohne ist der Weg zurück eine frage von ein paar Minuten, und ich liege ruckzuck im Bett.

Müde bin ich auch, denke ‚let’s call it a day‘ und freue mich auf unsere Reise nach Chicago, die ich morgen mit Jim und Rick antreten werde.

T’schau erstmal, Amerika. Wir sehen uns morgen wieder.

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